Der Herrengarten und die Bepflanzung

Text: Steffen Blättermann

Die historische, aktuelle und zukünftige Bepflanzung des Siegner Herrengartens ist das Thema dieses Beitrags. Die Bepflanzung am zukünftigen Herrengarten soll an „die exotischen Pflanzungen des historischen Herrengartens“ erinnern (vgl. Stadt Siegen o. J.). Wer wünschte sich damals diese „exotischen“ Pflanzen und warum ist es wichtig zu hinterfragen, ob man diesen Bezug heutzutage noch herstellen möchte?

Warum ist es problematisch Pflanzen als „exotisch“ zu bezeichnen?

„Exotische Pflanzen“ ist ein Begriff der Kolonialzeit, in der Europäer:innen Millionen von Menschen vertrieben, ermordeten und versklavten, sowie Pflanzen, Tieren und das gesamte Ökosystemen ausbeuteten. Ganze Gebiete wurden für Plantagen vernichtet und seltene ‚exotische) Pflanzen wurden zur Ausstellung in Botanischen Gärten oder Herrengärten nach Europa verschifft (vgl. Bechert/Dodo/Kartal 2021).

Historischer Herrengarten

04.02.1669: Fürst Johann Moritz erweitert die Grundfläche durch einen Vertrag mit dem Hospital in Siegen über deb Austausch von Ländereien in der Fusselbach. Fürst Wilhelm Moritz, sein Neffe und Nachfolger, legt den Herrengarten an. Gut Fusselbach erstreckt sich bis zum Herrengarten, verbunden durch eine Allee.

25.01.1783: „Durch das Fürstl. Unterdirektorium zu Siegen soll Montag den 12. März d. J. die in dasigem Unter Schloßgarten befindliche schöne Orangerie … offentlich an Meistbietenden gegen bare Zahlung … verkauft werden …“ – Gärtner Johann Burck aus Sachsenhausen arbeitet 30 Jahre lang im Herrengarten. Die fürstliche Regierung verpachtet dem Gärtner später Haus und Garten; der Ausschank von Wein und Bier und die Anlage einer Kegelbahnwird erlaubt.

1911: Die Stadt Siegen erwirbt den Herrengarten für 300.000 Mark.

16.12.1944: Zerstörung der Anlage Herrengarten mit anliegenden Häusern durch Bombardierung der Stadt Siegen

Mai 1950: Der Herrengarten wird zum Parkplatz.

Heute: Der Herrengarten soll wieder zum „HerrenGarten“ werden. (Vgl. Bingener/Stojan)

Johann Moritz von Nassau-Siegen und koloniale Kontinuitäten

Johann Moritz von Nassau-Siegen war General in Niederländisch-Brasilien. Die damalige Bepflanzung im Herrengarten war ein Teil des Ökoraubes der damaligen Kolonialzeit. Der Besitz und die Ausstellung war eine Demonstration der Macht über die ausgeraubten Menschen, aber auch der heimischen Bevölkerung, welche sich wenig und vor allem solche Pflanzen nicht leisten konnten. Der Begriff ‚exotisch‘ lehnt im historischen Kontext an Rassismus und Klassismus an und sollte in einer modernen offenen Gesellschaft kritisch hinterfragt werden.

Aktuelle Bepflanzung des Herrengarten

Der Herrengarten befindet sich momentan, im Sommer 2023, in einem Zwischenstadium bevor er neu bebaut und bepflanzt wird. Zur Überbrückung wurde eine Naturblumenwiese angepflanzt. Mit Hilfe der Blumenerkennungsapp „Flora Incognita“ habe ich die aktuelle Bepflanzung bestimmt und in einer weiteren Recherche auf ihre ‚Nützlichkeit‘ für die Umwelt untersucht. Ein Hauptaugenmerk wurde darauf gelegt, ob die Pflanzen eine Bestäubungsquelle für Insekten sind, da diese Art von Pflanzen in Städten oft Mangelware sind.

Bei der Analyse stellte sich heraus, dass alle Pflanzen sehr insektenfreundlich sind. Sie bieten unterschiedlichen Arten Nahrung und Schutzraum. Die Wiesenmargerite ist dazu sogar noch eine ‚heimische‘ Art.

Bestimmung von Pflanzen im HerrenGarten im Sommer 2023 mit der Blumenerkennungsapp „Flora Incognita“, Screenshots von Steffen Blättermann

Zukünftige Bepflanzung

Die zukünftige Bepflanzung soll mit klimafreundlichen Bäumen und Naturblumen bepflanzt werden, was sehr zu begrüßen ist. Bäume bieten in befahrenen Ballungsgebieten zu einer besseren Luftqualität bei und können im Sommer Schatten spenden. Naturblumen können eine wichtige Nahrungsquelle für Insekten sein, da diese in der zubetonierten Stadt oft nicht vorhanden sind.

Ein großer Kritikpunkt ist jedoch die Anlehnung an die historische Bepflanzung. Es werden zwar nicht mehr die damaligen Pflanzen verwendet, da man erkannt hat, dass diese wenig hilfreich für das lokale Ökosystem sind, jedoch soll optisch dran erinnert werden. Die damalige Bepflanzung wurde realisiert auf Wunsch von Johann Moritz von Nassau-Siegen, einem Kolonialherren. In Zeiten, in der wir uns ernsthaft mit der Aufklärung des Kolonialismus beschäftigen, wir die Hindenburgstraße in Europastraße umbenennen: Sollte man da nicht auch den Herrengarten neu denken oder zumindest im Park aufklären, bespielsweise durch Hinweisschilder?

Pläne für die Neugestaltung des HerrenGartens in Siegen © Rehwaldt Landschaftsarchitekten

Literatur

Bechert, Laura; Dodo; Kartal, Shaylı (2021): Kolonialismus & Klimakrise. Über 500 Jahre Widerstand, BUNDjugend. Als Print und Pdf-Datei: https://www.bundjugend.de/produkt/kolonialismus-und-klimakrise-ueber-500-jahre-widerstand/

Bingener, Andreas; Stojan, Michael: „Wiederaufbau in Siegen – Liebe auf den zweiten Blick“, Herausgegeben im Auftrag des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins e. V. und der Stadt Siegen, Vorländer, Siegen, S. 48.

Stadt Siegen (o. J.): „Städtebauförderprojekt ‚Herrengarten‘“, Online: https://www.siegen.de/leben-in-siegen/bauen-und-wohnen/staedtebaufoerderprojekt-herrengarten/

Verband Botanischer Gärten e. V. (2023): „Positionspapier: Botanische Gärten, Pflanzensammlungen und Kolonialismus“, Online: https://www.uni-kassel.de/fb11agrar/infothek/sitemap-news-detail/2023/03/16/positionspapier-zu-botanischen-gaerten-und-kolonialismus